20061020

Online-Petition gegen Wahlmaschinen

Üblicherweise verzichte ich ja darauf, Anliegen, die per Email oder sonstwie an mich herangetragen werden, an sämtliche Leute in meinem Umfeld zu verbreiten. Diesmal mache ich eine Ausnahme, weil ich denke, dass die Sache es rechtfertigt.

Vielleicht hat der ein oder andere die Meldungen über den Hack der Nedap-Wahlmaschinen in den Niederlanden verfolgt, der von einer Gruppe um Rop Gonggrijp durchgeführt wurde. Der Bericht[1] darüber ist eine vernichtende Studie über die Manipulationssicherheit von Wahlmaschinen und ihren Schutz gegen Ausspähen ("Wer wählt was?").
Ich bin der Meinung, dass die Gruppe in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit (die niederländischen Wahlen wurden um mehrere Monate auf November vorverlegt) eine außerordentliche Arbeit abgeliefert hat. Würde ich in meinem beruflichen Bereich ein solches System antreffen, bliebe mir ehrlicherweise nur zu sagen: Lieber Auftraggeber, das ist so kaputt, das musst du neu machen.

Jetzt geht es hier aber nicht um ein X-beliebiges technisches Sicherheitssystem, sondern um die Geräte, denen wir die Grundlage unserer Demokratie anvertrauen.
Durch den Einsatz solcher Maschinen ist eine Wahl nicht mehr einfach von jedem Wähler mit Zettel und Bleistift nachzuvollziehen. Mangels technischer Kompetenz und Vergleichsmöglichkeiten i. d. R. nicht einmal vom Wahlleiter, der jedoch letztlich durch seine Unterschrift den ordnungsgemäßen Verlauf der Wahl bestätigt. Wie raffiniert jemand vorgehen könnte, um die Programme solcher Maschinen zu manipulieren und was sonst noch gegen Wahlmschinen vorzubringen ist, steht in dem Bericht[1]. Das Fazit lautet: Die vorhandenen Lücken und Probleme sind nicht durch Updates oder kleine Änderungen behebbar. Der sicherste Manipulationsschutz ist und bleibt die Wahl mit Stimmzettel und Stift. Dieser Meinung schließe ich mich vorbehaltlos an.

Ich bitte daher alle Leser, die Online-Petition[0] zu unterschreiben und diese Informationen weiter zu verbreiten.

(Die URL liegt übrigens korrekterweise auf einem schottischen Server, weil der Bundestag gerade die Software der Universität von Edinburgh für Online-Petitionen testet)

~
[0] http://itc.napier.ac.uk/e-Petition/bundestag/view_petition.asp?PetitionID=294
[1] http://www.wijvertrouwenstemcomputersniet.nl/images/9/91/Es3b-en.pdf

weitere Infos und Pressereaktionen auf den Hack:
[2] https://berlin.ccc.de/index.php/Wahlmaschinen
[3] http://www.heise.de/newsticker/meldung/79791
[4] http://www.heise.de/newsticker/meldung/79052
[5] http://www.zeit.de/online/2006/41/wahlmaschinen?page=all
[6] http://www.spiegel.de/netzwelt/technologie/0,1518,441637,00.html
[7] http://focus.msn.de/digital/pc/wahlcomputer_nid_37145.html
[8] http://netzpolitik.org/index.php?tag=wahlmaschinen

20061006

Kampfbeweihnachtung...

...nennt Su-Shee den alljährlich früher anbrechenden jahresendlichen Konsumrausch in den Supermärkten. Früher fing die Vorweihnachtszeit Ende November an. In diesem Jahr konnte ich die ersten Weihnachtsartikel bereits Ende August erspähen. Wahrscheinlich ist es einfach so, dass der Fortschritt auch vor der Nahrungsmittelindustrie nicht halt macht und mittlerweile das Einschmelzen der nicht verkauften Osterhasen wesentlich schneller geht als noch vor fünfzehn Jahren. Umso früher kann man die daraus hergestellten Nikoläuse dann anbieten.
Nikoläuse? Jawohl! Da, wo ich aufgewachsen bin, gibts keinen Weihnachtsmann. Es gibt den Nikolaus und das Christkind. In Neufünfland werden allerdings nur Weihnachtsmänner angeboten, keine Nikoläuse - und deshalb kaufe ich die nicht, weder im Oktober noch im Dezember. Basta!

Allerdings hat die Weihnachtszeitvorverlegung auch ihr Gutes: Letztens wollte ich einen Kuchen backen und brauchte dazu gemahlene Haselnüsse, die mir zu Hause ausgegangen waren. Der Preis von deutlich über anderthalb Euronen pro Packung schien mir allerdings sehr hoch, so dass ich dann auf den Nusskuchen verzichtet habe. Auf meine Nachfrage teilte mir die Verkäuferin mit, das sei Saisonware. Aha. Also werde ich demnächst mal losziehen, um mir einen Jahresvorrat an saisonalen Backzutaten einzupacken.

20061001

Positive Leseerfahrungen 2

Heute möchte ich ein paar Sachbücher vorstellen, die ich mit Vergnügen gelesen habe.

.-=> 1 <=-.
Ich bin in den 80ern großgeworden, einem Jahrzehnt mit unglaublichen Verfehlungen in der Mode, schrecklichen Frisuren, der Ausdehnung des Fernsehprogramms auf mehr als drei Sender, Tschernobyl, Heavy Metal und Kohl. Florian Illies beschreibt das, teilweise recht treffend - so gut wie man die unterschiedlichen Erfahrungen einer Generation eben treffen kann - und mit einer Mischung aus Sentimentalität und Ironie, die mir auf Anhieb gefiel. Das Buch wurde mir von einem Freund empfohlen, der im gleichen Jahr wie ich geboren wurde, und auch andere Generationsgenossen, mit denen ich mich unterhielt, fanden es gut. Ich erinnere mich, nach der Lektüre den Gedanken gehabt zu haben, dass dieses Buch eigentlich banal ist und tatsächlich nur von uns verstanden werden kann, den in den 70ern in der BRD geborenen. Wenn du dazugehörst, solltest du es lesen.

Florian Illies: Generation Golf
ISBN 3-596-15065-5
Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2001


.-=> 2 <=-.
Benutzt du Sagrotan, um dein Bad sauber zu halten? Hörst du weg, wenn von Milben und anderem Ungeziefer die Rede ist? Vielleicht solltest du dieses Buch lesen. Jörg Blech erläutert, dass der Mensch nicht nur aus Homo Sapiens besteht:

"Der Mensch ist ein Ökosystem. In unserem Körper zählt man Hundertbillionen von Zellen. Rund 90 Prozent von ihnen sind aber nicht menschlichen Ursprungs, sondern gehören zu jenen Kreaturen, denen die Evolution den Menschen zugewiesen hat: Als Nahrungsquelle und Schlafplatz, als Hochzeitsmarkt und Futterstelle, als Raststätte und Kreißsaal. Sie dachten, Sie seien ein Einzelorganismus? Wenn Sie diesen Satz zu Ende gelesen haben, sind Myriaden quicklebendiger Organismen auf und in Ihnen zur Welt gekommen."

oder:

"Falls Außerirdische jemals einen Menschen treffen sollten, würden sie ihn korrekt beschreiben als Ansammlung kleiner Lebewesen, die einen Gesamtorganismus bilden. Etwa so: "Die irdische Lebensform besteht aus 988 verschiedenen Spinnentieren, 100 000 000 000 000 (in Worten: hundert Billionen) Bakterien, 1 Mensch, etwa 70 Amöben und manchmal bis zu 500 Madenwürmern."

Dieses Buch rückt das homozentrisch verschobene Weltbild wieder ein wenig zurecht. Uneingeschränkte Leseempfehlung.

Jörg Blech: Leben auf dem Menschen. Die Geschichte unserer Besiedler.
ISBN 3-499-60880-4
Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 2000


.-=> 3 <=-.
Verschlüsselte Informationen und geheime Codes sind der Stoff für viele Thriller. Wer sich diesem Thema nähern möchte, ohne sich mit der komplizierten Mathematik auseinandersetzen zu müssen, dem sei diese Buch empfohlen. Ich kenne kein anderes Werk, in dem die Geschichte und die Funktionsweise von kryptografischen Verfahren so verständlich, spannend und gut lesbar dargestellt sind, wie in diesem Buch. Ein guter Einstieg in die Kryptographie und ein absolutes Muss für jeden Computerinteressierten.

Simon Singh: Geheime Botschaften. Die Kunst der Verschlüsselung von der Antike bis in die Zeiten des Internet.
ISBN 3-423-33071-6
dtv, München 2001


.-=> 4 <=-.
Eine Zeit lang pflegte ich das Kaufdatum in meine Bücher zu schreiben. Demnach habe ich dieses Buch bereits 1992 gekauft, damals wahrscheinlich aufgrund einer positiven Rezension. Ich erinnere mich, gleichzeitig Stephen Hawkings "Kleine Geschichte der Zeit" erworben und gelesen zu haben. Danach verspürte ich wenig Lust, gleich noch einmal ein anstrengendes und wenig unterhaltendes Sachbuch zu lesen und wandte mich anderer Lektüre zu.
Es geht manchen unter meinen Büchern so, dass sie von Umzug zu Umzug mitgeschleppt werden, ohne gelesen worden zu sein. Das Schicksal der Bücher im Besitz der arbeitenden Klasse: Lesen trägt nichts zu meinem Broterwerb bei, daher muss ich es in meine Freizeit verbannen, und die ist kostbar und wird nicht von "Das-musst-du-aber-noch-lesen"-Gedanken bestimmt, eher von "Das wolltest du immer schon mal lesen". Begonnen habe ich mit Ditfurths Buch daher erst vor anderthalb Jahren, im Sommer 2005. Schon zu Beginn der Lektüre wurde mir klar, dass das ein Fehler gewesen war und ich es viel eher hätte in Angriff nehmen sollen. Nie sonst, weder vorher noch nachher, habe ich ein Sachbuch mit so viel intellektuellem Genuss gelesen wie dieses.
V. Ditfurth bietet seinen Lesern in diesem Buch, dem letzten vor seinem Tod, einen Querschnitt durch die Themenfelder, mit denen er sich in seinem Leben beschäftigte. Zum ersten mal fand ich bei ihm eine einigermaßen überzeugende Theorie, die das Dritte Reich erklären könnte. Aus meinen Notizen zu dem Buch:

Über urzeitliche Verhaltensprogramme:

Vier Regeln des Verhaltenskodex der Pleistozän-Humanoiden:
- Fremdenangst
- Bereitschaft zum intraspezifischen Totschlag
- Bedingungslose Unterordnung unter Gemeinschaftsinteressen
- Stammeschauvinismus (Konkurrenten sind weniger wert)

Heute sind die Sittengesetze weiter fortgeschritten und intellektuell anerkannt. Aber aufgrund der Hirnstruktur und -entwicklung laufen alle alten Verhaltensprogramme weiter ab.
Die Zehn Gebote sind fast alles Verbote, die genau diesen Zweispalt beschreiben. Archaische Verhaltensweisen, die als unmoralisch beurteilt werden, sind zu unterdrücken, d. h. den Verfassern dieses Textes muss das Vorhandensein archaischer Triebe bewusst gewesen sein.

Der Autor war Professor für Psychiatrie und Neurologie und arbeitete als Wissenschaftsjournalist. Der breite Überblick über die Wissenschaft, den er dadurch erlangte, spiegelt sich in der in seinem Buch angeschnittenen Vielfalt von Themen wider. Mein Fazit: Eines der besten Bücher, die ich je gelesen habe und eines, das ich sicher noch einmal lesen möchte.


Hoimar von Ditfurth: Innenansichten eines Artgenossen
ISBN 3-546-42097-7
dtv, München 1991

Christlicher Fundamentalismus

"Die sozialen Folgen des Materialismus sind verheerend... Wir sind davon überzeugt, dass wir den Materialismus an der Wurzel packen müssen, um ihn zu besiegen", schreibt der Autor des Strategiepapiers für das Center for Science and Culture, einem Arm des Discovery Institute, treibende Kraft bei der Verbreitung von Intelligent Design. "Diese Wurzel ist der wissenschaftliche Materialismus. Das ist exakt unsere Strategie. Wenn wir die vorherrschende materialistische Wissenschaft als großen Baum ansehen, dann verfolgt unsere Strategie das Ziel, einen Keil zu bilden, der, obwohl er relativ klein ist, den Stamm spalten kann, wenn man ihn an den schwächsten Stellen ansetzt."

(englisches Original:)
"The social consequences of materialism have been devastating... . We are convinced that in order to defeat materialism, we must cut it off at its source," wrote the authors of the strategy plan for the Center for Science and Culture, an arm of the Discovery Institute and the leader of the effort to promote intelligent design. "That source is scientific materialism. This is precisely our strategy. If we view the predominant materialistic science as a giant tree, our strategy is intended to function as a wedge that, while relatively small, can split the trunk when applied at its weakest points."
Quelle: [http://www.philly.com/mld/philly/news/12862103.htm]

Ah ja. Um es mit Volker Pispers zu sagen: Kreationisten zitiere ich immer wörtlich. Ich habe noch keinen besseren Weg gefunden, sie lächerlich zu machen.