20061001

Positive Leseerfahrungen 2

Heute möchte ich ein paar Sachbücher vorstellen, die ich mit Vergnügen gelesen habe.

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Ich bin in den 80ern großgeworden, einem Jahrzehnt mit unglaublichen Verfehlungen in der Mode, schrecklichen Frisuren, der Ausdehnung des Fernsehprogramms auf mehr als drei Sender, Tschernobyl, Heavy Metal und Kohl. Florian Illies beschreibt das, teilweise recht treffend - so gut wie man die unterschiedlichen Erfahrungen einer Generation eben treffen kann - und mit einer Mischung aus Sentimentalität und Ironie, die mir auf Anhieb gefiel. Das Buch wurde mir von einem Freund empfohlen, der im gleichen Jahr wie ich geboren wurde, und auch andere Generationsgenossen, mit denen ich mich unterhielt, fanden es gut. Ich erinnere mich, nach der Lektüre den Gedanken gehabt zu haben, dass dieses Buch eigentlich banal ist und tatsächlich nur von uns verstanden werden kann, den in den 70ern in der BRD geborenen. Wenn du dazugehörst, solltest du es lesen.

Florian Illies: Generation Golf
ISBN 3-596-15065-5
Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2001


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Benutzt du Sagrotan, um dein Bad sauber zu halten? Hörst du weg, wenn von Milben und anderem Ungeziefer die Rede ist? Vielleicht solltest du dieses Buch lesen. Jörg Blech erläutert, dass der Mensch nicht nur aus Homo Sapiens besteht:

"Der Mensch ist ein Ökosystem. In unserem Körper zählt man Hundertbillionen von Zellen. Rund 90 Prozent von ihnen sind aber nicht menschlichen Ursprungs, sondern gehören zu jenen Kreaturen, denen die Evolution den Menschen zugewiesen hat: Als Nahrungsquelle und Schlafplatz, als Hochzeitsmarkt und Futterstelle, als Raststätte und Kreißsaal. Sie dachten, Sie seien ein Einzelorganismus? Wenn Sie diesen Satz zu Ende gelesen haben, sind Myriaden quicklebendiger Organismen auf und in Ihnen zur Welt gekommen."

oder:

"Falls Außerirdische jemals einen Menschen treffen sollten, würden sie ihn korrekt beschreiben als Ansammlung kleiner Lebewesen, die einen Gesamtorganismus bilden. Etwa so: "Die irdische Lebensform besteht aus 988 verschiedenen Spinnentieren, 100 000 000 000 000 (in Worten: hundert Billionen) Bakterien, 1 Mensch, etwa 70 Amöben und manchmal bis zu 500 Madenwürmern."

Dieses Buch rückt das homozentrisch verschobene Weltbild wieder ein wenig zurecht. Uneingeschränkte Leseempfehlung.

Jörg Blech: Leben auf dem Menschen. Die Geschichte unserer Besiedler.
ISBN 3-499-60880-4
Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 2000


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Verschlüsselte Informationen und geheime Codes sind der Stoff für viele Thriller. Wer sich diesem Thema nähern möchte, ohne sich mit der komplizierten Mathematik auseinandersetzen zu müssen, dem sei diese Buch empfohlen. Ich kenne kein anderes Werk, in dem die Geschichte und die Funktionsweise von kryptografischen Verfahren so verständlich, spannend und gut lesbar dargestellt sind, wie in diesem Buch. Ein guter Einstieg in die Kryptographie und ein absolutes Muss für jeden Computerinteressierten.

Simon Singh: Geheime Botschaften. Die Kunst der Verschlüsselung von der Antike bis in die Zeiten des Internet.
ISBN 3-423-33071-6
dtv, München 2001


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Eine Zeit lang pflegte ich das Kaufdatum in meine Bücher zu schreiben. Demnach habe ich dieses Buch bereits 1992 gekauft, damals wahrscheinlich aufgrund einer positiven Rezension. Ich erinnere mich, gleichzeitig Stephen Hawkings "Kleine Geschichte der Zeit" erworben und gelesen zu haben. Danach verspürte ich wenig Lust, gleich noch einmal ein anstrengendes und wenig unterhaltendes Sachbuch zu lesen und wandte mich anderer Lektüre zu.
Es geht manchen unter meinen Büchern so, dass sie von Umzug zu Umzug mitgeschleppt werden, ohne gelesen worden zu sein. Das Schicksal der Bücher im Besitz der arbeitenden Klasse: Lesen trägt nichts zu meinem Broterwerb bei, daher muss ich es in meine Freizeit verbannen, und die ist kostbar und wird nicht von "Das-musst-du-aber-noch-lesen"-Gedanken bestimmt, eher von "Das wolltest du immer schon mal lesen". Begonnen habe ich mit Ditfurths Buch daher erst vor anderthalb Jahren, im Sommer 2005. Schon zu Beginn der Lektüre wurde mir klar, dass das ein Fehler gewesen war und ich es viel eher hätte in Angriff nehmen sollen. Nie sonst, weder vorher noch nachher, habe ich ein Sachbuch mit so viel intellektuellem Genuss gelesen wie dieses.
V. Ditfurth bietet seinen Lesern in diesem Buch, dem letzten vor seinem Tod, einen Querschnitt durch die Themenfelder, mit denen er sich in seinem Leben beschäftigte. Zum ersten mal fand ich bei ihm eine einigermaßen überzeugende Theorie, die das Dritte Reich erklären könnte. Aus meinen Notizen zu dem Buch:

Über urzeitliche Verhaltensprogramme:

Vier Regeln des Verhaltenskodex der Pleistozän-Humanoiden:
- Fremdenangst
- Bereitschaft zum intraspezifischen Totschlag
- Bedingungslose Unterordnung unter Gemeinschaftsinteressen
- Stammeschauvinismus (Konkurrenten sind weniger wert)

Heute sind die Sittengesetze weiter fortgeschritten und intellektuell anerkannt. Aber aufgrund der Hirnstruktur und -entwicklung laufen alle alten Verhaltensprogramme weiter ab.
Die Zehn Gebote sind fast alles Verbote, die genau diesen Zweispalt beschreiben. Archaische Verhaltensweisen, die als unmoralisch beurteilt werden, sind zu unterdrücken, d. h. den Verfassern dieses Textes muss das Vorhandensein archaischer Triebe bewusst gewesen sein.

Der Autor war Professor für Psychiatrie und Neurologie und arbeitete als Wissenschaftsjournalist. Der breite Überblick über die Wissenschaft, den er dadurch erlangte, spiegelt sich in der in seinem Buch angeschnittenen Vielfalt von Themen wider. Mein Fazit: Eines der besten Bücher, die ich je gelesen habe und eines, das ich sicher noch einmal lesen möchte.


Hoimar von Ditfurth: Innenansichten eines Artgenossen
ISBN 3-546-42097-7
dtv, München 1991