20060804

Pozdrowienia z Alej Jerozolimkich

Eine Palme in Warschau? Ja und!?
Die polnische Künstlerin Joanna Rajkowska hat auf der Aleje Jerozolimskie (Jerusalemer Chaussee) mitten in Warschau eine künstliche Palme aufstellen lassen. Ursprünglich war die Idee ein Spaßprojekt, entwickelte sich jedoch durch den politischen Wirbel, den die Installation entfachte, in Polen zu einem der bekanntesten Kunstwerke und zugleich zur Versinnbildlichung des Protestes der Künstlerszene gegen die konservative Regierungspolitik, die am liebsten nicht einmal einen fremden Baum zulassen möchte. Aufmerksam geworden bin ich auf die Geschichte durch einen Bericht im DLF, in dem es unter anderem hieß, einer der Kaczynski-Brüder habe gesagt, die Künstlerin hätte lieber eine Tanne aufstellen sollen, das sei passender für Polen. Wenn ich mir die polnische Regierung derzeit so anschaue, bin ich mit unserer gleich sehr viel zufriedener. Alles eine Frage der Perspektive...

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Hier noch ein Auszug aus einem Interview mit Joanna Rajkowska (aus dem Englischen übersetzt von mir):

Sie haben durch das Aufstellen dieses großen, exotischen Baumes mitten in der Stadt etwas aus der tropischen Welt hierhin zu übertragen versucht, etwas, das Sie hier in Polen vermissen, ist das wahr? Etwas von dort? Was genau?

Ich vermisse die Vielfältigkeit dieser Welt. Ich vermisse die Juden, deren Abwesenheit durch den Straßennamen so deutlich hervortritt. Keine kleine Gruppe angepasster Leute. Ich vermisse die Leute, die wortwörtlich anders sind, die ihr Anderssein ohne Verlegenheit, aber auch ohne Aggression zeigen. Ich vermisse sowohl die Juden als auch die Afrikaner, die Schwarzen, gleichermaßen. Ich vermisse die Energie der Auswanderer, die sich entschieden haben, alles hinter sich zu lassen und von vorn anzufangen; ihre Ruhelosigkeit und Stärke. Vielleicht gefällt es mir wegen dieser Sehnsüchte so gut auf dem Bazaar Europa**. Polen ist in dieser Hinsicht hoffnungslos. Eine weiße, katholische Gesellschaft, ähnliche Verhaltensweisen und ähnliche Überzeugungen. Schrecklich, diese unausgesprochene Einigkeit, diese "Normalheit". Es gibt keine Minderheiten oder Mehrheiten irgendeiner Art, es gibt nur eine ärmere oder reichere homogene Masse. Vielleicht kommen der polnische Rassismus und die Intoleranz daher. Ich sage nicht, dass Israel das Land der Toleranz ist; ich denke, es ist auch ein rassistisches Land, aus anderen Gründen... Darüberhinaus ist Israel ständig in einem Prozess des Sich-selbst-neu-Formens, in jeder Hinsicht. Es ist ein Land, in dem jeder denkende Mensch sich fundamentale Fragen stellen muss.
Ich vermisse auch die Spannung. Ich vermisse die Kommunikation mit dem Rest der Welt, die in Israel so evident ist. Polen ist in so vieler Hinsicht ein Ghetto, dass mir manchmal die Luft wegbleibt.
Ich habe den Baum gepflanzt und behandle ihn als ein Element der Kommunikation zwischen den Leuten, Kommunikation ohne Worte oder intellektuelle Inanspruchnahme. Es ist wie im Traumtagebuch: Ich will nicht, dass sich die Leute "verstehen". Ich will, dass sie sich nahe SIND. Unter der Palme.

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**Stadionie Dziesięciolecia, ein schwarzer Markt in Warschau.