20060805

Momentane Lektüre

Wie üblich liegt mein Nachtschrank voller Bücher, die ich alle umeinander lese, ein jedes dann, wenn mir gerade danach ist. Zur Zeit komme ich nicht wirklich viel zum Lesen, daher ist mein Stapel angelesener Bücher gerade besonders hoch; ich zähle dreizehn Bände.


Harald Schmidts "Mulatten in gelben Sesseln" hat sich bis ganz nach unten durchgearbeitet. Eigentlich mag ich Harald Schmidt, aber seinem Gefasel in diesem Buch konnte ich nichts abgewinnen. Na ja, vielleicht fehlte mir die seichte Stimmung.


Gleich darüber liegt Bastian Sick: "Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod. Folge 2". Den ersten Band hatte ich Anfang des Jahres mit Genuss gelesen, aber der zweite Teil kam mir wie ein Abklatsch des ersten vor. Über die ersten 60 Seiten bin ich noch nicht hinausgekommen, obwohl Sprache ja eines meiner Lieblingsthemen ist. Mal sehen, wann ich dazu wieder Lust habe.


Gleich darüber liegt Götz Fehrs "Böhmisches Kursbuch". Der Autor erzählt Geschichten aus seiner Budweiser Heimat. Teilweise ist das Buch mit tschechischen diakritischen Zeichen geschrieben, die sich dafür überraschend gut eignen. Man muss aber zumindest wissen, wie die Buchstaben im Tschechischen ausgesprochen werden, um es einigermaßen flüssig lesen zu können. Der Inhalt sind Geschichten aus der Erinnerung des Autors. Er schildert Personen und Lebensweise in Böhmen vor der Vertreibung, auf eine nette, heitere Art ganz ohne Wehleidigkeit. Allerdings ist es vom literarischen Standpunkt her auch nicht mehr, die Geschichten sind belanglos, ohne den Anspruch Hochliteratur sein zu wollen. Damit hat das Buch wahrscheinlich den größten Wert für Menschen, die selbst noch vor dem Krieg in Böhmen gelebt haben.


"Erzählungen von 1937 - 1983 (Bd. I)" von Heinrich Böll kommt als nächstes. Die Erzählungen in diesem Buch deprimieren mich, ich kann es nur Stück für Stück lesen, alle paar Tage eine Geschichte. Ich besitze die vierbändige Taschenbuchausgabe von Kiepenheuer & Witsch; es warten also noch weitere drei Bände auf mich. Ich habe bisher kaum etwas von Böll gelesen und hoffe, dass die Ernüchterung und Hoffnungslosigkeit der Kriegs- und Nachkriegsjahre, die aus dem bisher Gelesenen spricht, in seinen späteren Erzählungen weniger dominant zutage tritt.


Vor ein paar Monaten habe ich mir endlich Victor Klemperers Tagebücher angeschafft, die ich immer schon einmal lesen wollte. Es gilt hier jedoch dasselbe wie für den Böll: Ich vertrage die Lektüre nur in homöopathischen Dosen, weshalb ich auch erst bis zum Anfang 1934 vorgedrungen bin. Ich bin immer noch außerstande, zu verstehen, wie es zu so etwas kommen konnte (und solange ich mir der Enstehungsbedingungen nicht sicher bin kann ich auch eine Wiederholung nicht ausschließen). Aus heutiger Sicht betrachtet war Klemperer nachgerade naiv; aber gerade sein naiver Glaube an die Zivilisation, die Zivilisiertheit seiner Mit-Deutschen konfrontiert den Leser mit der absurden Brutalität des Alltags im Deutschland der 30er Jahre.


Volker Braun: "Berichte von Hinze und Kunze". Ein kleiner Band mit meist sehr kurzen, nachdenkenswerten Texten, die mich stark an Brechts Herrn Keuner erinnern. Fünf Minuten lesen und eine Stunde darüber nachdenken. Absolut empfehlenswert!


Von Otto Flake kannte ich nicht einmal den Namen, bis ich zufällig auf Ebay drei Romane günstig ersteigerte. Ich begann vor zwei oder drei Wochen mit "Fortunat", einer verwickelten, langwierigen Geschichte aus dem 19. Jahrhundert. Nach etwa 120 Seiten kann ich sagen, dass der Roman stellenweise etwas langatmig, aber nicht ganz reizlos ist. Von der Machart her fühlte ich mich irgendwie an Romain Rolland erinnert, wahrscheinlich weil mir "Clerambault" ebenfalls recht zäh erschien. Hoffen wir, dass Fortunat im weiteren Verlauf der Geschichte etwas mehr an Fahrt gewinnt als die Selbstzweifel des französischen Professors im Ersten Weltkrieg.


Die "Sterntagebücher" von Stanislaw Lem waren unter den Computerfreaks im Usenet gerühmt worden, weshalb ich mir das kleine Buchpaket aus Suhrkamps Phantastischer Bibliothek besorgte. Die ersten 50 Seiten des ersten Bandes sind bisweilen sehr skurril, hinterließen bei mir aber keinen bleibenden Eindruck, wie ich es von anderen Werken Lems gewohnt war. Mal sehen, was der Rest noch bringt.


In meiner Stammkneipe stehen in einem kleinen Regal ein paar Bücher, von denen ich mir letztens den Gedichtband "Im Umkreis der Feuer" von Uwe Grüning mit nach Hause nahm. Als ich der Wirtin erzählte, wie sehr mir die Gedichte darin gefielen, schenkte sie mir das Buch kurzerhand. Ich habe wahrscheinlich alle Texte darin bereits gelesen, aber ich schlage das Buch immer wieder auf. Ich hatte in letzter Zeit nicht viele Gedichtbände in der Hand, die mich so sehr fesselten, und die vor allem durchweg so gut sind. Auch die "Gesammelten Gedichte" von Hilde Domin enthalten Gedichte, die mir sehr gut gefallen, aber es sind auch viele darin, mit denen ich nichts anfangen kann.


Den größten Teil meiner derzeit leider sehr spärlichen Lesezeit widme ich Ralph Giordanos "Die Bertinis". Ich habe vor kurzem ein kleinformatiges Taschenbüchlein mit ein paar kurzen, anscheinend autobiographischen Texten von Giordano gelesen, deren Inhalt ich - etwas anders verpackt - in diesem Familienroman wiederfinde. Sobald ich die Zeit finde, werde ich mich mit seiner Biographie beschäftigen, weil es mich interessiert, wieviel "Wahrheit" in diesem Roman steckt. Giordano hat einen angenehmen Schreibstil, der sich flüssig lesen lässt; außerdem beherrscht er die Kunst, durch die skizzenhafte Schilderung einiger weniger, aber wesentlicher Merkmale Dinge völlig zu umschreiben ohne umständlich sämtliche Details zu bemühen. Ich habe zwar erst ein Drittel gelesen, wage aber dennoch eine Empfehlung für dieses Buch auszusprechen.


Auf meinem Stapel liegen auch noch drei weitere Bücher, die ich mir zwar schon herausgesucht habe, ohne jedoch zum Lesen zu kommen. Es sind Gogols "Phantastische Novellen", "Der Prophet" von Kalil Gibran und "Herr Levi" von Amos Oz. In Zusammenhang mit den Geschehnissen im Nahen Osten reizt mich derzeit vor allem das Buch von Oz, von dem ich mir einen Einblick in die Zeit kurz vor der Gründung des Staates Israel erhoffe. Dazu also demnächst mehr.